BGH: Urteil zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten
BGH Beschluss vom 16.10.2002 – Aktenzeichen VIII ZB 30/02
Vorinstanzen:
LG Wuppertal
AG Velbert
Normen:
ZPO § 91
Leitsätze
a) Die Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den auswärtigen Prozessbevollmächtigten die Vertretung in der mündlichen Verhandlung übernommen hat, sind erstattungsfähig, soweit sie die durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten ersparten, erstattungsfähigen Reisekosten des Prozessbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen.
b) Die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts ist regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO anzusehen.
Tenor
Der VIII. Zivilsenat des BGH hat am 16. 10. 2002 durch …beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Wuppertal v. 21. 3. 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 392,57 € (767,80 DM) festgesetzt
Gründe
A.
Die in O. (H.) wohnende Antragstellerin hat die Antragsgegnerin durch ihren gleichfalls in O. ansässigen Prozessbevollmächtigten beim AG Velbert (Nordrhein-Westfalen) auf Räumung und Herausgabe einer in diesem Gerichtsbezirk gelegenen Wohnung sowie auf Zahlung rückständigen Mietzinses verklagt. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat sich in der mündlichen Verhandlung über die Klage von einem in Velbert ansässigen Rechtsanwalt, dem er zuvor Untervollmacht erteilt hatte, vertreten lassen. Die anwaltlich nicht vertretene Antragsgegnerin hat den Räumungsanspruch im Termin anerkannt und ist durch dementsprechendes Anerkenntnisurteil verurteilt worden. Hinsichtlich des Zahlungsanspruchs hat die Antragstellerin den Rechtsstreit nach Zahlung des offenen Mietzinses durch die Antragsgegnerin für erledigt erklärt. Die Kosten des Rechtsstreits sind in dem Urteil der Antragsgegnerin auferlegt worden.
Die Antragstellerin hat beim AG gegen die Antragsgegnerin Festsetzung von Kosten i. H. v. 2.286,30 DM beantragt, darunter u. a. Gebühren und Auslagen des Unterbevollmächtigten i. H. v. 817,80 DM. Das AG hat den Antrag hinsichtlich der Kosten des Unterbevollmächtigten zurückgewiesen und die im Übrigen beantragten Kosten i. H. v. 1.468,50 DM festgesetzt. Hiergegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, weitere 817,80 DM als erstattungsfähige Kosten festzusetzen. Das Beschwerdegericht hat den Kostenfestsetzungsbeschluss dahin abgeändert, dass der Antragstellerin weitere 50 DM, somit insgesamt 1.518,50 DM, zu erstatten sind, und die sofortige Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die – vom Beschwerdegericht zugelassene – Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
B.
I. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Kosten für den von der Beklagten beauftragten Unterbevollmächtigten seien nicht erstattungsfähig, weil dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig i. S. v. § 91 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 ZPO gewesen sei. Der Klägerin habe angesonnen werden können, einen Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts zu bestellen. Die Kosten eines Unterbevollmächtigten seien nur dann notwendig, wenn der Partei die unmittelbare Information eines Bevollmächtigten am Prozessgericht aus persönlichen Gründen nicht zumutbar oder aus sachlichen Gründen nicht möglich sei oder wenn die Kosten der unmittelbaren Information die Kosten der Inanspruchnahme zweier Anwälte erreichen würde. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben, weil es sich um einen einfach gelagerten Rechtsstreit gehandelt habe, der keinen umfangreichen Tatsachenvortrag erfordert habe.
Die Antragstellerin könne auch nicht die Kosten einer fiktiven Informationsreise zu einem Bevollmächtigten am Prozessgericht beanspruchen. Wegen des einfach gelagerten Sachverhalts hätte dessen Information fernmündlich oder fernschriftlich erfolgen können. Die Kosten dafür seien mit 50 DM zu bemessen.
II. Diese Ausführungen halten einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegerichts nicht stand.
1. Das Beschwerdegericht ist allerdings von dem zutreffenden rechtlichen Ansatzpunkt ausgegangen, dass sich die Erstattung von Kosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines unterbevollmächtigten Rechtsanwaltes, der anstelle des Hauptbevollmächtigten die Vertretung in der mündlichen Verhandlung übernommen hat, entstanden sind, nach der allgemeinen Vorschrift des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO beurteilt. Für die Erstattungsfähigkeit der durch die Zuziehung des Unterbevollmächtigten entstandenen Kosten kommt es deshalb allein darauf an, ob dessen Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Für die Erstattung der Kosten des mit der Vertretung in der mündlichen Verhandlung beauftragten Unterbevollmächtigten gilt nicht die Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO, die eine generelle Erstattung von Kosten und Auslagen eines Rechtsanwalts – mit Ausnahme von Reisekosten – anordnet. Denn diese Bestimmung betrifft nach ihrem Wortlaut („des Rechtsanwalts“) und ihrem Zweck, wonach Anwaltskosten „von rechtswegen als zweckentsprechende Kosten der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung gelten“ (Motive bei Hahn, die gesammten Materialien zur Civilproceßordnung, Bd. 1, S. 198), die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts, also des Hauptbevollmächtigten, entstehenden Kosten.
Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines allein mit der Terminswahrnehmung beauftragten Unterbevollmächtigten (§ 53 BRAGO) beurteilt sich auch nicht nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO. Nach dieser Regelung käme es allein darauf an, ob und inwieweit die Kosten des Unterbevollmächtigten zusammen mit den Kosten des Hauptbevollmächtigten die Kosten eines Rechtsanwaltes nicht überschreiten. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO regelt jedoch entgegen dem insoweit weiter gehenden Wortlaut nicht die Erstattungsfähigkeit eines für bestimmte Aufgaben anstelle des Hauptbevollmächtigten beauftragten Untervertreters, sondern allein die Inanspruchnahme zweier Rechtsanwälte als Hauptbevollmächtigte (Bischoff, MDR 2000, 1357 [1358]; Gerold/Schmidt/von Eicken, 15. Aufl., § 53 BRAGO Rz. 17; a. A.: Hartmann, Kostengesetze, 31. Aufl., § 53 BRAGO Rz. 21; Belz in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 91 ZPO Rz. 95; Stein/Jonas/Bork, 21. Aufl., § 91 ZPO Rz. 103). Denn nach den Motiven des Gesetzes soll die hier geregelte Beschränkung auf die Kosten eines Rechtsanwaltes den Fall betreffen, dass „die Partei ohne Nothwendigkeit des Wechsels sukzessive sich mehrerer Anwälte bedient hat“ (vgl. Motive bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilproceßordnung, Bd. 1, S. 198).
2. Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht jedoch, die der Antragstellerin durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten nach §§ 53, 26 BRAGO entstandenen Kosten seien schon deshalb zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig gewesen, weil die Antragstellerin sich zur Kostengeringhaltung eines beim Prozessgericht in Velbert ansässigen Rechtsanwaltes hätte bedienen müssen und sie deshalb nur die Kosten erstattet verlangen könne, die zur Information eines Hauptbevollmächtigten am Prozessgericht erforderlich gewesen wären.
a) Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den am Wohnort der Partei ansässigen Rechtsanwalt der Partei Termine beim Prozessgericht wahrnimmt, sind notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, soweit durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten, nämlich Tage- und Abwesenheitsgeld sowie Fahrtkosten nach § 28 BRAGO, erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären (vgl. OLG Düsseldorf v. 14. 12. 2000 – 10 W 107/00, MDR 2001, 475 = NJW-RR 2001, 1000 = JurBüro 2001, 256; OLG Hamm JurBüro 2001, 366 und 484). Kann eine Partei nämlich etwaige Reisekosten ihres Rechtsanwaltes für die Fahrt zur mündlichen Verhandlung ersetzt verlangen und machen sie und ihr Rechtsanwalt stattdessen von der in § 53 BRAGO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, die Terminswahrnehmung einem Unterbevollmächtigten zu übertragen, so stellt dies eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung dar, falls die durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten entstandenen Kosten die ansonsten angefallenen Reisekosten des Hauptbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen. Wenn die Partei prüft, ob sie einen Unterbevollmächtigten zur Terminswahrnehmung hinzuzieht, liegt dies auch im Interesse der erstattungspflichtigen Gegenpartei; denn die Beauftragung des Unterbevollmächtigten kann, etwa bei einem geringen Streitwert und einer erheblichen Entfernung zwischen dem Kanzleisitz des Hauptbevollmächtigten und dem Prozessgericht oder wenn mehrere Termine wahrzunehmen sind, kostengünstiger sein als die Terminswahrnehmung durch den Hauptbevollmächtigten.
b) Notwendige Voraussetzung für die Erstattung von Kosten des Unterbevollmächtigten ist demnach zunächst, dass die dem Hauptbevollmächtigten im Falle eigener Terminswahrnehmung zustehenden Reisekosten dem Grunde nach zu erstatten wären. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
aa) Der Erstattungsfähigkeit der Kosten eines nicht am Prozessgericht zugelassenen und dort auch nicht wohnenden Rechtsanwaltes für Reisen zum Prozessgericht steht nicht die Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO entgegen (zutreffend: OLG Bremen JurBüro 2001, 532; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 998 = JurBüro 2001, 998 und v. 14. 12. 2000 – 10 W 107/00, MDR 2001, 475 = NJW-RR 2001, 1000 = JurBüro 2001, 256; OLG Frankfurt v. 31. 7. 2000 – 6 W 126/00, OLGReport Frankfurt 2000, 301 = MDR 2000, 1215 = JurBüro 2000, 587; KG v. 23. 1. 2001 – 1 W 8967/00, KGReport Berlin 2001, 102 = MDR 2001, 473 = NJW-RR 2001, 1002; OLG Schleswig v. 31. 10. 2000 – 9 W 145/00, OLGReport Schleswig 2001, 51 = MDR 2001, 537 = JurBüro 2001, 197; a. A.: OLG Zweibrücken v. 13. 12. 2000 – 4 W 68/00, OLGReport Zweibrücken 2001, 119 = MDR 2001, 535 = NJW-RR 2001, 1001; OLG München v. 24. 8. 2000 – 11 W 2259/00, NJW-RR 2001, 997; Bischoff, MDR 2000, 1357 [1359]). Diese Bestimmung schließt nach ihrem Wortlaut allein die Erstattung von Mehrkosten aus, die durch die Beauftragung eines am Prozessgericht zugelassenen, dort aber nicht ansässigen Rechtsanwaltes entstehen. „Zulassung“ im Sinne dieser Bestimmung ist die berufsrechtliche Zulassung des Rechtsanwaltes bei einem bestimmten Gericht i. S. d. §§ 18 ff. BRAO und nicht die Postulationsfähigkeit i. S. d. § 78 ZPO (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 60. Aufl., § 91 ZPO Rz. 45 f.; Zöller/Herget, 23. Aufl., § 91 ZPO Rz. 13 „Reisekosten“ b)). Dies folgt neben dem Wortlaut auch aus der Herkunft der erst durch das Gesetz zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26. 7. 1957 (BGBl. I, 861, 931) eingefügten und ursprünglich in § 18 Abs. 6 BRAO enthaltenen Regelung (vgl. Begründung der Regierungsentwürfe zu § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO: BT-Drucks. 2/2545, 282 i. V. m. BT-Drucks. 2/1014, 133).
Eine entsprechende Anwendung von § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO auf am Prozessgericht nicht zugelassene (i. S. d. §§ 18 ff BRAO) auswärtige Rechtsanwälte (dafür: OLG Hamburg v. 8. 12. 2000 – 8 W 252/00, OLGReport Hamburg 2001, 96 = MDR 2001, 295 = NJW-RR 2001, 788 = JurBüro 2001, 203; OLG München v. 6. 4. 2001 – 11 W 946/01, OLGReport München 2001, 247 = MDR 2001, 773; Musielak/Wolst, ZPO, 3. Aufl., § 91 Rz. 18) ist nicht gerechtfertigt. Es fehlt dafür an einer Regelungslücke im Gesetz. Die Erstattung von Reisekosten eines am Prozessgericht nicht zugelassenen und dort auch nicht ansässigen Rechtsanwaltes ist in der Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO geregelt, und zwar in der Weise, dass eine Erstattung erfolgt, wenn die Zuziehung des auswärtigen Anwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Zwar hat sich die Bedeutung dieser Bestimmung bis zur Erweiterung der Postulationsfähigkeit bei den LG auf alle bei einem Land- oder AG zugelassenen Rechtsanwälte durch das am 1. 1. 2000 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. 9. 1994 (BGBl. I, 2278) und dessen Änderungsgesetz vom 17. 12. 1999 (BGBl. I, 2448) weitgehend auf den Parteiprozess vor den AG beschränkt. Diese Ausdehnung des Kreises der postulationsfähigen Rechtsanwälte vor den LG kann für eine unterliegende Partei, deren auswärtiger Gegner sich eines an seinem Wohnort ansässigen Rechtsanwaltes bedient, nach der Kostenregelung des § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO mit einer größeren Kostenbelastung verbunden sein als nach alter Rechtslage. Dies allein rechtfertigt aber keine vom Wortlaut abweichende Auslegung der kostenrechtlichen Vorschriften. Aus den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte (Gesetzentwurf der Bundesregierung mit Begründung, BT-Drucks. 12/4993, 42–44; Beschluss Empfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7656 sowie Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, BT-Drucks. 12/7868) ist nicht erkennbar, ob sich der Gesetzgeber möglicher kostenrechtlicher Konsequenzen der Erweiterung der Postulationsfähigkeit bewusst war. Es besteht deshalb keine Grundlage für die Annahme, der Gesetzgeber habe die mit der nunmehr möglichen Vertretung durch auswärtige Anwälte verbundenen Mehrkosten von der Erstattung durch den Gegner vollständig ausnehmen wollen. Die vom Gesetzgeber zur Freigabe der Postulationsfähigkeit angestellten Erwägungen sprechen eher für die gegenteilige Annahme (unten bb) (1)). Deshalb muss es bei der nach dem Gesetzeswortlaut anzuwendenden Regelung des § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO verbleiben, wonach es für die Erstattung von Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwaltes auf die Notwendigkeit von dessen Zuziehung ankommt.
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass im Anwaltsprozess der Wegfall der beschränkten Postulationsfähigkeit im Bereich der Kostenerstattung zu einem Wertungswiderspruch führen kann, wenn nunmehr die Reisekosten auswärtiger, am LG des Prozesses nicht zugelassener Rechtsanwälte nach § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO bei Notwendigkeit der Zuziehung zu erstatten sind, demgegenüber aber die Erstattung von Reisekosten der am Prozessgericht zwar zugelassenen, aber auswärtig geschäftsansässigen Rechtsanwälte nach § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO schlechthin ausgeschlossen bleibt, und zwar auch dann, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzlei am Wohnort der Partei unterhält (vgl. OLG Karlsruhe AnwBl. 2001, 119 [120]). Für eine unterschiedliche Behandlung ist nach dem Wegfall der beschränkten Postulationsfähigkeit ein sachlicher Grund nicht mehr gegeben. Dieser Wertungswiderspruch kann aber nicht in der Weise aufgelöst werden, dass der Anwendungsbereich von § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO auf alle auswärtigen Anwälte ausgedehnt wird. Denn in diesem Fall würde § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO entgegen seinem klaren Wortlaut nicht mehr zur Anwendung kommen, und auch die bislang grundsätzlich erstattungsfähigen Reisekosten auswärtiger Anwälte bei Amtsgerichtsprozessen würden generell ausgeschlossen.
bb) Die Beauftragung des in O. ansässigen Hauptbevollmächtigten durch die Antragsteller stellte eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO dar. Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht, die Antragstellerin habe sich zur Kostenersparnis eines in der Nähe des Prozessgerichts in Velbert residierenden Rechtsanwaltes als Hauptbevollmächtigten bedienen müssen. Die Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, hat sich daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen, die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte zu ergreifen (vgl. Zöller/Herget, 23. Aufl., § 91 ZPO Rz. 12 „Reisekosten“ b)). Sie trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleich gearteten Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen.
(1) Die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwaltes durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei stellt im Regelfall (zu möglichen Ausnahmen unten (2)) eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in dem genannten Sinne dar (vgl. OLG Bremen JurBüro 2001, 532 [533]; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 998; v. 14. 12. 2000 – 10 W 107/00, MDR 2001, 475 = NJW-RR 2001, 1000 = JurBüro 2001, 256 und v. 10. 7. 2001 – 10 W 67/01, MDR 2002, 116 = JurBüro 2002, 34, KG v. 23. 1. 2001 – 1 W 8967/00, KGReport Berlin 2001, 102 = MDR 2001, 475 = NJW-RR 2001, 1002).
Eine Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt ist und ihre Belange in angemessener Weise wahrgenommen wissen will, wird nämlich in aller Regel einen Rechtsanwalt in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen und ihn ggf. mit der Prozessvertretung zu beauftragen. Sie wird dies wegen der räumlichen Nähe und in der Annahme tun, dass zunächst ein persönliches mündliches Gespräch erforderlich ist. Diese Erwartung ist berechtigt, denn für eine sachgemäße gerichtliche oder außergerichtliche Beratung und Vertretung ist der Rechtsanwalt zunächst auf die Tatsacheninformation der Partei angewiesen. Diese kann in aller Regel nur in einem persönlichen mündlichen Gespräch erfolgen. Häufig wird zudem nach einer (Klage)Erwiderung der Gegenseite ein zweites Gespräch notwendig sein, weil der Rechtsanwalt ergänzende Informationen seiner Partei benötigt oder weil später entstandene Missverständnisse auszuräumen sind.
Die Notwendigkeit eines persönlichen Gespräches zwischen einer auswärtigen Partei und ihrem Rechtsanwalt ist auch in der vor dem 1. 1. 2000 ergangenen Rechtsprechung der OLG für den Landgerichtsprozess anerkannt gewesen und kostenrechtlich berücksichtigt worden, und zwar in der Weise, dass die auswärtige Partei im Regelfall die Kosten für eine Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt am Prozessgericht sowie, wenn ihr diese Reise ausnahmsweise unzumutbar war, die Kosten eines Verkehrsanwaltes erstattet verlangen konnte (vgl. Stein/Jonas/Bork, 21. Aufl., § 91 ZPO Rz. 67a und 71 f. m.zahlr.N.). Die kostenrechtliche Einengung auf diese beiden Möglichkeiten zum Gespräch mit einem Rechtsanwalt, Informationsreise zum Prozessbevollmächtigten oder Einschaltung eines Verkehrsanwaltes, war deshalb berechtigt, weil die Partei auf Grund der beschränkten Postulationsfähigkeit vor den LG als Prozessbevollmächtigten einen am Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt beauftragen musste. Nachdem jedoch nunmehr jeder an einem Amts- oder LG zugelassene Rechtsanwalt vor jedem LG postulationsfähig ist, kann und darf auch eine ihre Belange vernünftig und kostenbewusst wahrnehmende Partei für das zur Verfolgung ihrer Interessen notwendige persönliche Beratungsgespräch mit einem Rechtsanwalt den für sie einfacheren und nahe liegenden Weg wählen, einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten zu beauftragen.
Dies steht in Übereinstimmung mit den Absichten, die den Gesetzgeber zur Erweiterung der Postulationsfähigkeit vor den LG auf alle bei einem Amts- oder LG zugelassenen Anwälte bewogen haben. Diese ist wesentlich auch damit begründet worden, dass das Interesse der Mandanten dahin gehe, von einem Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor auswärtigen Zivilgerichten vertreten werden zu können (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/4993, 43); die Regelung solle der Rechtslage im Strafrecht und anderen Fachgerichtsbarkeiten angeglichen und Einzelanwälten dieselbe Möglichkeit zur auswärtigen Vertretung eines Mandanten eingeräumt werden, wie sie faktisch bei großen überörtlichen Sozietäten bestehe (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/4993, 43).
Für die grundsätzliche Anerkennung der Vertretung einer auswärtigen Partei durch einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung sprechen auch praktische Erwägungen. Einem Zivilprozess gehen in vielen Fällen vorgerichtliche Auseinandersetzungen voraus, bei denen sich eine oder beide Parteien bereits durch in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässige Rechtsanwälte haben vertreten lassen. Wäre eine der beiden Parteien in dem dann sich daraus entwickelnden Prozess vor einem auswärtigen Gericht zur Kostenersparnis gehalten, einen am Prozessgericht ansässigen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten zu beauftragen, so müsste sie auf den bereits mit der Sache vertrauten Rechtsanwalt verzichten und außerdem weitere Mühen zur Unterrichtung des neuen Rechtsanwaltes auf sich nehmen. Dies kann von einer kostenbewussten Partei auch im Interesse der erstattungspflichtigen Gegenpartei nicht erwartet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die für eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits entstandene Anwaltsgebühr nach § 118 Abs. 2 BRAGO auf die Prozessgebühr angerechnet wird, während bei einem Wechsel zu einem Anwalt am Prozessgericht zwar Reisekosten erspart werden, aber für die Prozessführung eine weitere Gebühr anfällt.
(2) Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Beauftragung eines in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsortes der Partei ansässigen Rechtsanwaltes eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO darstellt, kann dann eingreifen, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Dies kommt in Betracht bei gewerblichen Unternehmen, die über eine eigene Rechtsabteilung verfügen, die die Sache bearbeitet hat. Die Zuziehung eines Rechtsanwaltes am Prozessgericht kann ferner zur Kostenersparnis zumutbar sein, wenn bei einem in tatsächlicher Hinsicht überschaubaren Streit um eine Geldforderung die Gegenseite versichert hat, nicht leistungsfähig zu sein und gegenüber einer Klage keine Einwendungen zu erheben.
Ein solcher Fall ist jedoch nicht schon dann anzunehmen, wenn es sich, wie das Beschwerdegericht für den vorliegenden Fall annimmt, um einen einfach gelagerten Rechtsstreit handelt, der keinen umfangreichen Tatsachenvortrag erfordert. Welche Schwierigkeiten die Führung eines Rechtsstreits aufwirft, ist für die rechtsunkundige Partei i. d. R. nicht überschaubar und hängt darüber hinaus wesentlich vom Verhalten der Gegenseite während des Prozesses ab. Dass die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall den offenen Mietzins zahlen und den Räumungsanspruch anerkennen würde, stand zu dem Zeitpunkt, als die Antragstellerin ihren Bevollmächtigten mit der Klageerhebung beauftragte, keineswegs fest.
c) Da der Antragstellerin somit die Reisekosten ihres Hauptbevollmächtigten, die bei einer Wahrnehmung des Verhandlungstermins beim Prozessgericht durch diesen nach § 28 BRAGO entstanden wären, zu erstatten gewesen wären, kann sie Ersatz der Kosten für den stattdessen mit der Terminswahrnehmung beauftragten Unterbevollmächtigten insoweit beanspruchen, als diese Kosten (§§ 53, 26 BRAGO) abzgl. der mit der Vertretung durch den Unterbevollmächtigten in der Verhandlung verbundenen Verringerung der Verhandlungsgebühr des Hauptbevollmächtigten (§ 33 Abs. 3 BRAGO) die ersparten Reisekosten nicht wesentlich übersteigen. Eine geringfügige Überschreitung der ersparten Reisekosten steht der Erstattung der Kosten des Unterbevollmächtigten nicht entgegen. Es ist zu berücksichtigen, dass die von der Partei und ihrem Hauptbevollmächtigten bei der Entscheidung darüber, ob ein Unterbevollmächtigter mit der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung beauftragt wird, zu veranschlagenden Reisekosten, etwa im Hinblick auf Fahrt- und Terminsdauer, nicht sicher vorausgesehen werden können. Eine wesentliche Überschreitung wird im Regelfall anzunehmen sein, wenn die Kosten des Unterbevollmächtigten die ersparten Reisekosten um mehr als 1/10 überschreiten.
III. Das Beschwerdegericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zur Höhe der dem Hauptbevollmächtigten der Antragstellerin im Falle der Wahrnehmung des Termins beim AG Velbert zustehenden Reisekosten getroffen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können diese Feststellungen nicht nachgeholt werden (§ 577 Abs. 2 S. 4 ZPO i. V. m. § 559 ZPO). Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, um der Antragstellerin die Möglichkeit zu eröffnen, die Höhe der ersparten Reisekosten glaubhaft zu machen (§ 577 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 ZPO).