BGH: Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten
BGH Beschluss vom 10.7.2012 – Aktenzeichen VIII ZB 106/11
Vorinstanzen:
OLG Hamburg Beschluss vom 2.11.2011 – Aktenzeichen 8 W 71/11
LG Hamburg Beschluss vom 11.7.2011 – Aktenzeichen 329 O 345/10
Norm:
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
Leitsatz
Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den auswärtigen Prozessbevollmächtigten beim Prozessgericht die Vertretung in der mündlichen Verhandlung wahrnimmt, richtet sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte (Fortführung von BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = FamRZ 2003, 441 = BRAK 2003, 25 = WM 2003, 1617).
Tenor
Der VIII. Zivilsenat des BGH hat am 10.7.2012 durch den VorsRi Ball, die Ri Dr. Hessel sowie die Ri Dr. Achilles, Dr. Schneider und Dr. Bünger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Hanseatischen OLG – 8. Zivilsenat – vom 2.11.2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Hamburg vom 11.7.2011 zurückgewiesen worden ist.
Auf die sofortige Beschwerde werden die von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Kosten auf weitere 170,61 € (insgesamt 1.855,88 €) nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.2.2011 festgesetzt.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren werden der Beklagten auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 170,61 €.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Kostenausgleichsverfahren nach § 106 ZPO darüber, ob der Kläger die Kosten seines Unterbevollmächtigten erstattet verlangen kann.
Der in Süddeutschland ansässige Kläger hat die Beklagte auf Zahlung des Kaufpreises für einen Pkw in Anspruch genommen. Er hat seinen ortsansässigen Prozessbevollmächtigten mit der gerichtlichen Vertretung beauftragt. Das zunächst angerufene LG Ingolstadt hat den Rechtsstreit an das LG Hamburg verwiesen, welches einen Termin zur Güteverhandlung und mündlichen Verhandlung auf den 3.12.2010 anberaumt hat. Eine Anordnung zur Ladung von Zeugen ist nicht erfolgt. Mit der Terminswahrnehmung hat der Kläger einen Rechtsanwalt aus Hamburg als Unterbevollmächtigten beauftragt.
Am 16.2.2011 hat das LG festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Vergleich zustande gekommen ist. Dieser sieht vor, dass die Kosten des Rechtsstreits zu 5/7 von der Beklagten und zu 2/7 von dem Kläger getragen werden.
Im anschließenden Kostenausgleichsverfahren hat der Kläger u.a. die Kosten des Unterbevollmächtigten i.H.v. 930,82 € geltend gemacht. Die fiktiven Kosten für eine Anreise seines Prozessbevollmächtigten zu dem Termin hat er mit 629,05 € beziffert. Das LG hat die von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.640,33 € festgesetzt. Hierbei hat es die Kosten des Unterbevollmächtigten lediglich in Höhe der fiktiven Reisekosten der Prozessbevollmächtigten des Klägers berücksichtigt. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Beschwerdegericht den Kostenfestsetzungsbeschluss abgeändert und die zu erstattenden Kosten auf 1.685,27 € nebst Zinsen festgesetzt.
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde macht der Kläger weiter geltend, bei der Berechnung der zu erstattenden Kosten sei der Betrag i.H.v. 930,82 € für den Unterbevollmächtigten anzusetzen.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 575 ZPO) hat Erfolg.
1. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten, der – wie hier – für den am Wohnort oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalt Termine beim Prozessgericht wahrnimmt, richtet sich nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = FamRZ 2003, 441 = BRAK 2003, 25 = WM 2003, 1617 unter [B] II 2a; v. 21.12.2011 – I ZB 47/09, MDR 2012, 191 = BRAK 2012, 88 = NJW-RR 2012, 381 Rz. 6; v. 9.9.2004 – I ZB 5/04, MDR 2005, 178 = BRAK 2005, 36 = GRUR 2005, 84 unter II 2a; v. 4.4.2006 – VI ZB 66/04, VersR 2006, 1089 Rz. 4) stellen die Kosten eines Unterbevollmächtigten dann notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar, wenn durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären.
2. Für die Vergleichsberechnung zwischen den fiktiven Reisekosten des Hauptbevollmächtigten und den durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten zur Terminsvertretung entstandenen Kosten ist – anders als das Beschwerdegericht meint – nicht auf eine ex post-Betrachtung abzustellen. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des BGH vielmehr (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = FamRZ 2003, 441 = BRAK 2003, 25 = a.a.O., unter [B] II 2b bb; v. 4.4.2006 – VI ZB 66/04, a.a.O., Rz. 6), ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Sie trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleichgearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen.
Wenn die Partei prüft, ob sie einen Unterbevollmächtigten zur Terminswahrnehmung hinzuzieht, liegt dies auch im Interesse der erstattungspflichtigen Gegenpartei; denn die Beauftragung des Unterbevollmächtigten kann, etwa bei einem geringen Streitwert und einer erheblichen Entfernung zwischen dem Kanzleisitz des Hauptbevollmächtigten und dem Prozessgericht oder wenn mehrere Termine wahrzunehmen sind, kostengünstiger sein als die Terminswahrnehmung durch den Hauptbevollmächtigten (BGH v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = FamRZ 2003, 441 = BRAK 2003, 25 = a.a.O., unter [B] II 2a).
Bei der gebotenen ex ante-Beurteilung durfte der Kläger im Zeitpunkt der Beauftragung des Unterbevollmächtigten davon ausgehen, dass voraussichtlich mehrere Termine vor dem Prozessgericht in Hamburg wahrzunehmen sein würden. Das LG Hamburg hatte zunächst nur Termin zur Güteverhandlung und mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter ohne Ladung von Zeugen anberaumt, obgleich von beiden Parteien Zeugen zum Beweis ihrer – strittigen – Behauptungen benannt worden waren. Für die Anreise des Hauptprozessbevollmächtigten des Klägers zu zwei Terminen vor dem LG Hamburg wären höhere Kosten entstanden als durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten.
3. Dem Kläger steht daher gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung weiterer Kosten seines Unterbevollmächtigten für die Wahrnehmung des Termins i.H.v. 170,61 € nebst Zinsen gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechend der im Vergleich getroffenen Kostenverteilungsquote zu.