BGH: Beiordnung eines nicht bei dem Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts bei Prozesskostenhilfe
BGH Beschluss vom 23.6.2004 – Aktenzeichen XII ZB 61/04
Vorinstanzen:
OLG Zweibrücken Beschluss vom 8.9.2003 – Aktenzeichen 5 WF 112/03
AG Frankenthal (Pfalz) Beschluss vom 16.7.2003
Normen:
ZPO § 121 Abs. 1, 3 und 4;
BRAGO § 126 Abs. 1 S. 2
Leitsätze
a) Im Rahmen einer bewilligten Prozesskostenhilfe ist bei der Beiordnung eines nicht bei dem Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts stets zu prüfen, ob besondere Umstände für die Beiordnung eines zusätzlichen Verkehrsanwalts i.S.v. § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen. Nur wenn dieses nicht der Fall ist, darf der auswärtige Rechtsanwalt „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts“ i.S.v. § 126 Abs. 1 S. 2 1. Halbs. BRAGO beigeordnet werden.
b) Der Partei ist auf Antrag zusätzlich ein unterbevollmächtigter Rechtsanwalt zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins beizuordnen, wenn in besonders gelagerten Einzelfällen Reisekosten nach § 126 Abs. 1 S. 2 2. Halbs. BRAGO geschuldet sind und diese die Kosten des unterbevollmächtigten Rechtsanwalts annähernd erreichen
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden die Beschlüsse des 5. Zivilsenats des OLG Zweibrücken als Familiensenat v. 8.9.2003 und des AG Frankenthal (Pfalz) v. 16.7.2003 aufgehoben.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren in erster Instanz im Rahmen der mit Beschluß v. 1.4.2003 bewilligten Prozesskostenhilfe RA S. in Frankenthal zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins v. 12.6.2003 beigeordnet.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: bis 300 €.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Beiordnung eines weiteren – unterbevollmächtigten – Rechtsanwalts im Rahmen der ihm für sein Scheidungsverbundverfahren bewilligten Prozesskostenhilfe.
Die Parteien sind italienische Staatsangehörige. Mit Urt. v. 11.2.1999 hatte das AG Mannheim (3C F 181/98) die Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett festgestellt. Das AG Frankenthal (Pfalz) hat dem Antragsteller für das Scheidungsverbundverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm den an seinem Wohnsitz in Hattingen (Nordrhein-Westfalen) niedergelassenen Rechtsanwalt K. zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet. In der mündlichen Verhandlung v. 12.6.2003 ist für den Antragsteller der am Ort des AG Frankenthal (Pfalz) niedergelassene RA S. aufgetreten und hat beantragt, die dem Antragsteller bewilligte Prozesskostenhilfe „auf seine Beiordnung zu erstrecken“. Das AG hat die Folgesachen Versorgungsausgleich und Kindesunterhalt vom Scheidungsverbund abgetrennt und ausgesprochen, dass die zivilrechtlichen Wirkungen der kirchlich geschlossenen Ehe der Parteien beendet sind.
Den Antrag des Rechtsanwalts S. auf zusätzliche Beiordnung hat das AG abgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das OLG zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die – zugelassene – Rechtsbeschwerde, für die der Senat Prozesskostenhilfe bewilligt hat.
II.
Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde (BGH v. 31.7.2003 – III ZB 7/03, NJW-RR 2003, 1438) führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur zusätzlichen Beiordnung des RA S. zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins am 12.6.2003.
1. Das Beschwerdegericht (OLG Zweibrücken v. 8.9.2003 – 5 WF 112/03, OLGReport Zweibrücken 2004, 22 = FamRZ 2004, 707) hat ausgeführt, dass nach § 121 ZPO i.d.R. ein am Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt beizuordnen sei. Falls ein nicht beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt beigeordnet werden solle, dürften hierfür nach § 121 Abs. 3 ZPO keine Mehrkosten entstehen. Die Beiordnung eines Unterbevollmächtigten zur Terminswahrnehmung würde diese gesetzliche Regelung unterlaufen. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des BGH (BGH v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = FamRZ 2003, 441). Danach sei zwar – von Ausnahmen abgesehen – die Zuziehung eines in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts durch eine am auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Halbs. ZPO. Da der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der gesetzlichen Änderung im Recht der Postulationsfähigkeit § 121 Abs. 3 ZPO unverändert gelassen habe, sei diese Rechtsprechung aber nicht auf das Verfahren der Prozesskostenhilfe übertragbar. Ein Anspruch der auf Prozesskostenhilfe angewiesenen Partei auf Gleichstellung könne auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitet werden.
2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
a) Allerdings geht das OLG zunächst zutreffend davon aus, dass im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 1 und 3 ZPO i.d.R. ein bei dem Prozessgericht niedergelassener Rechtsanwalt beizuordnen ist. Grundsätzlich kann ein nicht bei dem Prozessgericht niedergelassener Rechtsanwalt nur dann beigeordnet werden, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstehen. Entsprechend sind nach § 126 Abs. 1 S. 2 1. Halbs. BRAGO Mehrkosten nicht zu vergüten, die dadurch entstehen, dass der am Prozessgericht zugelassene Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht oder eine auswärtige Abteilung dieses Gerichts befindet.
b) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das OLG auch erkannt, dass nach § 121 Abs. 4 ZPO ausnahmsweise ein weiterer Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden kann, wenn besondere Umstände dies erfordern. Denn wenn der Partei – wie es dem Regelfall des § 121 Abs. 1 und 3 ZPO entspricht – ein Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts beigeordnet wurde, kann es in besonders gelagerten Einzelfällen erforderlich sein, ihr einen zusätzlichen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines auswärtigen Termins zur Beweisaufnahme (§ 362 ZPO) oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Hauptbevollmächtigten beizuordnen. Diese Vorschrift geht mit der kostenrechtlichen Vorschrift des § 126 BRAGO einher. Ist ein am Ort des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt beigeordnet worden, stehen ihm nach § 126 Abs. 1 S. 2 1. Halbs. BRAGO keine Reisekosten zu; dafür kann in besonders gelagerten Einzelfällen ein zusätzlicher Verkehrsanwalt beigeordnet werden (§ 121 Abs. 4 BRAGO). Wurde hingegen ein nicht am Ort des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter beigeordnet, besteht kein Bedarf für die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts; dafür ist der auswärtige Rechtsanwalt grundsätzlich berechtigt, seine Reisekosten abzurechnen (§ 126 Abs. 1 S. 2 2. Halbs. BRAGO; OLG Koblenz v. 25.7.2001 – 14 W 525/01, MDR 2002, 175 = NJW-RR 2002, 420, OLG Frankfurt v. 2.8.2002 – 5 WF 15/02, MDR 2003, 177 = OLGReport Frankfurt 2002, 340; KG v. 29.8.2003 – 1 W 185/03, MDR 2004, 474 = KGReport Berlin 2004, 17; a.A. OLG Naumburg v. 16.5.2001 – 14 WF 49/01, OLGReport Naumburg 2001, 486).
Ordnet das Gericht der Partei im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe ausnahmsweise einen nicht in seinem Bezirk niedergelassenen Rechtsanwalt bei, was ihr zugleich die Möglichkeit nimmt, die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO zu erlangen, kann es dem Prozessbevollmächtigten deswegen nicht stets durch die beschränkte Beiordnung „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts“ zugleich die Möglichkeit der Erstattung von Reisekosten nach § 126 Abs. 1 S. 2 2. Halbs. BRAGO nehmen. Eine solche Beiordnung ist vielmehr nur dann möglich, wenn auch sonst nur Kosten eines am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts entstehen könnten, weil „besondere Umstände“ i.S.v. § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts hat das Gericht also immer auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen. Nur wenn dieses nicht der Fall ist, darf es einen von der Partei nach § 121 Abs. 1 ZPO gewählten auswärtigen Prozessbevollmächtigten „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts“ mit den Folgen des § 126 Abs. 1 S. 2 1. Halbs. BRAGO beiordnen. Das haben das AG und das OLG hier verkannt.
c) Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wegen besonderer Umstände erforderlich ist, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen (Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 121 Rz. 18). Solche besonderen Umstände können etwa dann vorliegen, wenn die Partei schreibungewandt ist und ihr auch eine Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts nicht zugemutet werden kann (OLG Naumburg v. 29.4.2002 – 14 WF 33/02, FamRZ 2003, 107; OLG Zweibrücken v. 27.6.2001 – 2 UF 12/01, OLGReport Zweibrücken 2001, 481 = FamRZ 2002, 107). Gleiches ist der Fall, wenn der Partei eine schriftliche Information wegen des Umfangs, der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht zuzumuten ist und eine mündliche Information unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde (OLG Brandenburg v. 25.4.2001 – 15 WF 110/00, FamRZ 2002, 107; v. 4.1.2001 – 9 WF 62/00, FamRZ 2001, 1533). Dabei ist im Rahmen der verfassungsgemäßen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Umstände eine zusätzliche Beiordnung nach § 121 Abs. 4 ZPO auch dann geboten, wenn die Kosten des weiter beizuordnenden Rechtsanwalts die sonst entstehenden Reisekosten des nicht am Prozessgericht zugelassenen Hauptbevollmächtigten nach § 126 Abs. 1 S. 2 2. Halbs. BRAGO) nicht wesentlich übersteigen. Im Rahmen der durch Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip gebotenen weit gehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes (BVerfG, Beschl. v. 4.2.2004 – 1 BvR 596/03, NJW 2004, 1789) ist bei der Auslegung auch die neuere Rechtsprechung des BGH zur Erstattung der Kosten für Verkehrsanwälte zu beachten. Danach ist im Falle der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts auch die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = FamRZ 2003, 441; v. 9.10.2003 – VII ZB 45/02, BGHReport 2004, 70 [71]; v. 11.11.2003 – VI ZB 41/03, MDR 2004, 539 = BGHReport 2004, 345 = NJW-RR 2004, 430; v. 18.12.2003 – I ZB 18/03, BGHReport 2004, 637; v. 25.3.2004 – I ZB 28/03, BGHReport 2004, 920 = BB 2004, 1023).
d) Solche besonderen Umstände, die eine zusätzliche Beiordnung des am Sitz des AG Frankenthal (Pfalz) niedergelassenen Rechtsanwalts S. begründen, liegen hier vor.
Der Antragsteller ist italienischer Staatsangehöriger und musste seinen Rechtsanwalt im Scheidungsverbundverfahren nicht nur über den nach italienischem Recht zu beurteilenden Sachverhalt, sondern auch zu den Folgesachen des Versorgungsausgleichs und des Kindesunterhalts informieren. Hinsichtlich des Scheidungsverfahrens traten besondere tatsächliche Schwierigkeiten auf, weil zunächst ungeklärt war, ob die (in Bigamie) wieder verheiratete Antragsgegnerin schon in Italien vom Antragsteller geschieden worden war. Das AG Frankenthal (Pfalz) hätte die Beiordnung des vom Antragsteller gewählten Prozessbevollmächtigten wegen des komplexen Sachverhalts und der rechtlich schwierigen Prozesslage deswegen nicht auf die „Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts“ beschränken dürfen. Die gleichwohl in dem früheren Beschluß v. 1.4.2003 ausgesprochene Beschränkung entfaltet schon deswegen keine Bindung, die der Beiordnung eines weiteren Rechtsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO entgegensteht, weil solches erst später beantragt wurde. Im Übrigen erlangt selbst ein die Prozesskostenhilfe versagender Beschluss auch bei Unanfechtbarkeit nach der Neufassung des § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO keine materielle Rechtskraft, die einer Ausweitung der bewilligten Prozesskostenhilfe entgegenstünde (BGH, Beschl. v. 3.3.2004 – IV ZB 43/03, BGHReport 2004, 842 = FamRZ 2004, 940). Den Antrag auf zusätzliche Beiordnung des RA S. hat der Antragsteller auch noch rechtzeitig zu Beginn der mündlichen Verhandlung v. 12.6.2003 gestellt.
e) Im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeit von Prozesskosten ist auch im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe ein Unterbevollmächtigter beizuordnen, wenn dessen Kosten die sonst entstehenden Reisekosten nur unerheblich übersteigen. Das ist hier für die Kosten zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins v. 12.6.2003 der Fall. Wegen der besonderen Umstände i.S.d. § 121 Abs. 4 ZPO durfte die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts nicht auf die Kosten eines ortsansässigen Rechtsanwalts beschränkt werden, so dass ihm grundsätzlich Reisekosten zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins vor dem AG Frankenthal (Pfalz) zugestanden hätten. Diese Reisekosten wären mit 200,56 € (144,56 € Fahrtkosten und 56 € Abwesenheitsgeld) annähernd so hoch, wie die Gebühr eines Unterbevollmächtigten mit 204 € (10/10-Gebühr nach 4.000 €). Auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe ist es deswegen zu billigen, dass sich die Partei ohne gravierende Mehrkosten (§ 121 Abs. 3 ZPO) im Verhandlungstermin von einem Unterbevollmächtigten vertreten lässt. Dem Antragsteller ist deswegen der ortsansässige RA S. zusätzlich zur Terminswahrnehmung beizuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO, § 11 GKG i.V.m. Nr. 1956 des Kostenverzeichnisses.