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OLG Saarbrücken: Säumnis aufgrund nichtwirksamer Bevollmächtigung des Terminsvertreters

29.09.2022 , Redaktion fixthedate.de
Prozessbevollmaechtigter und Terminsvertreter im  Gespräch
Prozessbevollmaechtigter und Terminsvertreter im Gespräch

OLG Saarbrücken Beschluss vom 16.2.2022 – Aktenzeichen 5 U 28/21

Vorinstanzen:
LG Saarbrücken Urteil vom 23.2.2021 – Aktenzeichen 14 O 274/20

Normen:
VVG § 172; ZPO § 514 Abs. 2

Leitsatz

Die Säumung des beklagten Versicherers ist nicht unverschuldet, wenn sein ordnungsgemäß geladener Prozessbevollmächtigter den als Terminsvertreter angefragten Rechtsanwalt in dieser Sache nicht wirksam bevollmächtigt hatte; das gilt auch dann, wenn dieser am Terminstag in anderer Angelegenheit vor dem Sitzungssaal gewartet haben und auch mangels erneuten Aufrufes der Sache vor Erlass des Versäumnisurteils von dem Termin keine Kenntnis erlangt haben sollte.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 23.02.2021 verkündete Zweite Versäumnisurteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 274/20 – wird als unzulässig verworfen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.335,60 € festgesetzt.

Gründe

I. Mit seiner am 08.10.2019 beim Amtsgericht St. Wendel eingereichten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der mit der Beklagten unter der Versicherungsnummer geschlossene Grundfähigkeitsabsicherungsvertrag nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 19.02.2019 beendet wurde, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht, sowie hilfsweise festzustellen, dass die vorbestehende Berufsunfähigkeitsversicherung zur Vertragsnummer fortbesteht. Mit Beschluss vom 12.12.2019 (Bl. 31 d.A.) verwies das Amtsgericht Sankt Wendel den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das örtlich zuständige Amtsgericht Neunkirchen. Dieses erließ gegen die Beklagte unter dem 09.01.2020 ein Versäumnisurteil mit folgendem Sachtenor (Bl. 35, 36 d.A.):

1. Es wird festgestellt, dass der zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossene Grundfähigkeitsabsicherungsvertrag, Versicherungsnr., nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 18.02.2019 beendet wurde, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 334,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2019 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Vertrag zwischen Kläger und Beklagter zur Vertragsnr. zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Hiergegen legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 19.05.2020 Einspruch ein (Bl. 40 d.A.). Auf Antrag des Klägers vom 23.09.2020 verwies das Amtsgericht Neunkirchen den Rechtsstreit am 29.09.2020 im Beschlusswege (Bl. 114 d.A.) an das sachlich zuständige Landgericht Saarbrücken. Dieses lud mit Verfügung vom 07.10.2020 zum Termin zur Güteverhandlung und mündlichen Verhandlung am 23.02.2020. Dabei ordnete es ausweislich der Verfügung das persönliche Erscheinen des Klägers an und lud den Zeugen G. gemäß § 273 Abs. 2 ZPO zum Termin. Die Ladung wurde den Beklagtenvertretern ausweislich Empfangsbekenntnis (Bl. 125 d.A.) am 27.10.2020 zugestellt. In der öffentlichen Sitzung des Landgerichts am 23.02.2021 erschien für die Beklagtenseite niemand. Auf Antrag des Klägervertreters verwarf das Landgericht Saarbrücken in der mündlichen Verhandlung den Einspruch der Beklagten durch ein Zweites Versäumnisurteil.

Hiergegen richtet sich die am 31.03.2021 eingelegte und am 04.06.2021 begründete Berufung der Beklagten. Sie ist der Ansicht, bereits das Erste Versäumnisurteil hätte nicht ergehen dürfen. Es fehle an einem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Sankt Wendel an das Amtsgericht Neunkirchen, durch den eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Neunkirchen hätte begründet werden können. Ungeachtet dessen sei auch das Amtsgericht Neunkirchen aufgrund des die Streitwertgrenze von 5.000,00 € weit übersteigenden Gegenstandswerts sachlich nicht zuständig gewesen.

Auch das Zweite Versäumnisurteil hätte nicht ergehen dürfen, da es an einer schuldhaften Säumnis der Beklagten gefehlt habe. Die Beklagte müsse sich insoweit das Verschulden eines Büromitarbeiters der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht zurechnen lassen. Nach Eingang der Terminsladung vom 07.10.2020 bei den Hauptbevollmächtigten der Beklagten habe die dortige Sekretariatsmitarbeiterin, Frau B., den Termin in der elektronischen Akte als Gerichtstermin mit dem Zusatz „TV-Termin“ notiert, wobei „TV“ für Terminsvertreter stehe. Außerdem sei entsprechend der Weisungslage bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine Frist von 2 Wochen vor dem Termin eingetragen worden, die der Prüfung diene, ob ein Fachvertreter beauftragt worden sei und dieser nach der Beauftragung zwischenzeitlich eingegangene Schriftstücke erhalten habe. Zudem habe Frau B. per E-Mail am 02.11.2020 (Bl. 285 d.A.) bei Herrn Rechtsanwalt Sch. angefragt, ob dieser den Termin am 23.02.2021 als Terminsvertreter wahrnehmen könne. Dies habe die Mitarbeiterin von Herrn Rechtsanwalt Sch., Frau H., mit E- Mail vom 03.11.2020 bestätigt (Bl. 201 d.A.). Herr Rechtsanwalt Sch. habe allen seinen Mitarbeitern die Weisung erteilt, dass eine derartige Bestätigung erst dann herausgehen dürfe, wenn der Termin auch im Kalender ordnungsgemäß notiert worden sei. Frau H. habe es jedoch versäumt, den Termin im Kalender zu notieren, aber dennoch die entsprechende Bestätigung der Terminswahrnehmung an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermittelt. Die Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Frau B., habe es wiederum ihrerseits versäumt, ein gefertigtes Schreiben vom 04.11.2020, durch welches Herrn Rechtsanwalt Sch. der Gerichtsaktenspiegel, die Terminsnachricht sowie Terminsvollmacht übermittelt werden sollte, zu übersenden. Aufgrund der auf jeweiliger Sekretariatsebene unterlaufenen Fehler sei es dann dazu gekommen, dass Herr Rechtsanwalt Sch. zu dem Termin am 23.02.2021 nicht erschienen sei.

Das Nichtvorliegen einer verschuldeten Säumnis ergebe sich auch daraus, dass mangels Erwähnung im Sitzungsprotokoll vom 23.02.2021 nicht feststehe, dass die erforderliche Wartepflicht von mindestens 15 Minuten eingehalten worden und ein erneuter Aufruf zur Sache nicht erfolgt sei. Wäre ordnungsgemäß verfahren worden hätte Herr Rechtsanwalt Sch., der wegen eines anderweitigen Termins um 11:30 Uhr sich bereits um 11:15 Uhr vor dem Gerichtssaal aufgehalten habe, den Termin wahrnehmen können. Die Ladung zum Termin sei auch nicht, wie dies richtig gewesen wäre, zur „Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache“, sondern zur „Güteverhandlung und gegebenenfalls im Anschluss daran mündliche Verhandlung“ erfolgt. Schließlich sei zu dem Termin ein Zeuge geladen worden, weswegen eine Beweisaufnahme angeordnet worden sei. Dieser Termin zur Beweisaufnahme werde allerdings erst mit Beendigung der Beweisaufnahme zum Verhandlungstermin im Sinne der Säumnisvorschriften. Das Versäumnisurteil sei jedoch ergangen, ohne dass die Beweisaufnahme durchgeführt worden sei.

Soweit sich der Einspruch auch dagegen gerichtet habe, dass durch das Erste Versäumnisurteil gleichzeitig der Fortbestand der Berufsunfähigkeitsversicherung festgestellt worden sei, hätte er im Zweiten Versäumnisurteil nicht zurückgewiesen werden dürfen. Denn bei dem Feststellungsantrag hinsichtlich des Fortbestands der Berufsunfähigkeitsversicherung habe es sich lediglich um einen für den Fall der Erfolglosigkeit des Hauptantrags gestellten Hilfsantrag gehandelt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Zweite Versäumnisurteil des Landgerichts Saarbrücken aufzuheben und auf den Einspruch der Beklagten hin das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Neunkirchen, 20 C 376/19 (76) aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das Landgericht Saarbrücken zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass der Eingang der Auftragsbestätigung, die in dem nicht an den Terminsvertreter abgesandten Schreiben, durch welches Herrn Rechtsanwalt Sch. der Gerichtsaktenspiegel, die Terminsnachricht sowie Terminsvollmacht übermittelt werden sollte, verlangt werde, zu notieren und zu überwachen gewesen wäre. Zudem hätte bei dem Terminsvertreter das Fehlen erforderlicher Unterlagen notiert werden müssen, wie Vorlage einer Untervollmacht, Benennung des Gerichtsgebäudes und des Sitzungssaals, etc. Grundsätzlich könne sich der Anwalt nicht von der kompletten Aktenkontrolle verabschieden, indem er Terminsnotierungen überhaupt nicht mehr prüfe. Zudem sei davon auszugehen, dass sowohl den Hauptbevollmächtigten als auch dem Unterbevollmächtigten in der Zeit von der Terminsladung an bis zum Termin die Akte wiedervorgelegt worden sei. Wäre vorliegend ordnungsgemäß kontrolliert worden, wäre die fehlende Terminsnotierung aufgefallen. Es sei nicht richtig, dass die erforderliche Wartefrist nicht eingehalten worden sei. Zwar ergebe sich Gegenteiliges nicht aus dem Sitzungsprotokoll, dennoch sei vor Erlass des Zweiten Versäumnisurteils 15 Minuten gewartet worden. Nachdem bereits um 11:00 Uhr für die Beklagtenseite niemand erschienen sei, habe sich der Klägervertreter bei dem Vorsitzenden Richter erkundigt, ob Unterbevollmächtigte beauftragt seien. Da er gewusst habe, dass Herr Rechtsanwalt Sch. in einer Parallelsache K. gegen Z. Untervollmacht von den Prozessbevollmächtigten der Beklagte hatte, habe er den Sitzungssaal um kurz nach 11:00 Uhr verlassen und bei den Rechtsanwälten R. anrufen, mit der Bitte um Mitteilung, ob dort ein Mandat auch in der streitgegenständlichen Sache bestehe und Herr Rechtsanwalt Sch. auch in dieser Sache auftrete. Dies sei von dem Sekretariat nach einer kurzen Unterbrechung verneint worden, sodass der Klägervertreter habe davon ausgehen müssen, dass Herr Rechtsanwalt Sch., der sich zu diesem Zeitpunkt nicht vor dem Saal aufgehalten habe, keine Unterbevollmächtigung habe. Nach erneutem Aufruf zur Sache sei dann um 11:15 Uhr das Zweite Versäumnisurteil ergangen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Die Berufung ist unzulässig.

Ein Versäumnisurteil, gegen das – wie hier – der Einspruch an sich nicht statthaft ist, unterliegt der Berufung gemäß § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

Wird das Vorliegen dieser Voraussetzungen vom Berufungsführer nicht schlüssig vorgetragen, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen (BGH, Urteil vom 27. September 1990 – VII ZR 135/90, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Januar 2016 – II-4 UF 141/15 –, juris; OLG Köln, Beschluss vom 28.04.2014 – 5 U 14/14, juris; Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 514 Rn. 12). Demgegenüber ist die Berufung als unbegründet zurückzuweisen, wenn sich ein schlüssiger Vortrag als unrichtig erweist oder vom beweisbelasteten Berufungsführer nicht bewiesen werden kann (OLG Köln a.a.O.).

Vorliegend vermochten die Beklagten nicht schlüssig darzulegen, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung des Termins nicht vorgelegen hat.

1. Die seitens der Beklagten vorgebrachten Einwände gegen den Erlass des Ersten Versäumnisurteils des Amtsgerichts Neunkirchen vom 09.01.2020, wie etwa, dass das Amtsgericht Neunkirchen unzuständig gewesen sei, können dahinstehen. Die materiell-rechtlichen und die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, die für den Erlass des Ersten Versäumnisurteils erforderlich sind, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder erneut von der 1. Instanz vor dem Erlass eines 2. Versäumnisurteils gemäß § 345 ZPO noch vom Berufungsgericht in einem sich nach § 514 Abs. 2 ZPO anschließenden Berufungsverfahren zu prüfen (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020 – XI ZB 11/19, NJW-RR 2020, 575; BGH, Beschl. v. 6. Oktober 2011 – IX ZB 148/11, NJW-RR 2011,1692; BGH, Beschluss vom 6. Mai 1999 – V ZB 1/99, juris; Wulf in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 41. Edition, Stand: 01.07.2021, § 514, Rn. 10 ff.; Rimmelspacher in MüKoZPO, 6. Auflage 2020, § 514, Rn. 17; Seiler in Thomas/Putzo ZPO, 42. Auflage 2021, § 514 Rn. 4; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 18. Auflage 2021, § 514 Rn. 9; Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 514 Rn. 8b). Anders ist dies lediglich in dem hier nicht vorliegenden Fall zu sehen, wenn dem Zweiten Versäumnisurteil ein Vollstreckungsbescheid vorausgegangen ist. Entsprechendes gilt auch für den Einwand, dass das erstinstanzliche Gericht den Einspruch gegen das Erste Versäumnisurteil nicht habe verwerfen dürfen, soweit dieser auch darauf bezogen gewesen sei, dass das das Erste Versäumnisurteil erlassende Gericht zugleich auf den Haupt- und den Hilfsantrag erkannt hat. Dieser Fehler ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 319 ZPO seitens des Spruchkörpers, der das Erste Versäumnisurteil erlassen hat, zu berichtigen (vgl. Seiler in Thomas/Putzo ZPO, 42. Auflage 2021, § 319 Rn. 5), dem Senat ist wegen des engen Prüfungsmaßstab des § 514 Abs. 2 ZPO eine dahingehende Korrektur des Ersten Versäumnisurteils allerdings verwehrt.

2. Die Versäumung des Termins vom 23.02.2021, in dem das streitgegenständliche Zweite Versäumnisurteil ergangen ist, war nicht unverschuldet. Die Beklagte ist ordnungsgemäß geladen worden und hat ihre Säumnis durch unzureichende Organisation und Aktenkontrolle verschuldet.

a) Der Umstand, dass die Ladung vorliegend nicht zur „Verhandlung über Einspruch und die Hauptsache“, sondern zur „Güteverhandlung und ggfs. im Anschluss daran mdl. Verhandlung“ erfolgte, steht der Ordnungsgemäßheit der Ladung nicht entgegen. Voraussetzung einer Säumnis im Termin ist zwar stets eine ordnungsgemäße Terminsladung. Fehlt es daran und erscheint eine Partei nicht zum Termin, darf gegen diese ein (zweites) Versäumnisurteil nicht ergehen (BGH, Beschluss vom 20.12.2010 – VII ZB 72/09; OLG München, Urteil vom 05.07.1973 – 1 U 1296/73; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 345 ZPO, Rn. 7; Rimmelspacher in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2016, § 514 ZPO, Rn. 16). Insoweit sieht auch § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ausdrücklich vor, dass der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zurückzuweisen ist, wenn die nicht erschienene Partei nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht rechtzeitig geladen war. Der Umstand, dass die Ladung vorliegend nicht zur „Verhandlung über Einspruch und die Hauptsache“, sondern zur „Güteverhandlung und ggfs. im Anschluss daran mdl. Verhandlung“ erfolgte, steht jedoch der Ordnungsgemäßheit der Ladung nicht entgegen. Denn zum notwendigen Inhalt einer Ladung gehört u.a. die Angabe des Zwecks der Ladung. Dazu bedarf es aber nur einer allgemeinen Umschreibung. Es reicht aus, wenn die Partei „zur mündlichen Verhandlung“ geladen wird, weil ihr der bisherige Gang des in der Ladung ebenfalls anzugebenden Rechtsstreits bekannt ist und sie daher bei einer uneingeschränkten Ladung zur mündlichen Verhandlung auch mit einer umfassenden Erörterung des gesamten bisherigen Sach- und Streitstands zu rechnen hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 1981 – III ZR 85/80 –, juris; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 341, Rn. 4; Toussaint in BeckOK ZPO, a.a.O., § 341a ZPO, Rn. 4).

b) Die seitens des Landgerichts angenommene Säumnis der Beklagten war auch angesichts der weiteren von der Berufung hiergegen angeführten Gründe nicht unverschuldet. Die Frage des Verschuldens im Falle der Versäumung eines Termins ist bei § 514 ZPO nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BGH, Urteil vom 24.9.2015 – IX ZR 207/14, juris; BGH, Urt. v. 25. November 2008 – VI ZR 317/07, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Mai 2011 – 2 U 871/10 –, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12. Oktober 2021 – 13 UF 7/21 –, juris; Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 514 ZPO Rn. 9). Abzustellen ist auf das eigene Verschulden der geschäftsfähigen Partei, wobei ein Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichgestellt wird, § 85 Abs. 2 ZPO (BGH, Urteil vom 24.9.2015 – IX ZR 207/14, juris; Rimmelspacher in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 514 Rn. 19;). Ob ein Verschulden vorliegt, ist entsprechend dem allgemeinen Gedanken des § 276 BGB nach einem objektiv abstrakten Maßstab zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2003 – 2 BvR 1568/02, BeckRS 2003, 25084 Wendtland, in: BeckOK ZPO, 43. Edition, Stand: 01.12.2021, § 233 Rn. 10); erfasst wird jede Form von Vorsatz und Fahrlässigkeit (vgl. Wendtland, in: BeckOK ZPO, 43. Edition, Stand: 01.12.2021, § 233 Rn. 10). Das Gesetz erwartet von einem Prozessbevollmächtigten hierbei die übliche, von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt (BVerfG, Beschluss vom 6. 11. 2003 – 2 BvR 1568/02, NJW 2004, 502; Wendtland, in: BeckOK ZPO a.a.O.; Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 514 ZPO); wenn ein besonderer Anlass besteht, d.h. wenn sich dem Rechtsanwalt im Einzelfall wegen äußerer Umstände die Notwendigkeit weiterer Prüfung aufdrängt, ist er jedoch zu gesteigerter Sorgfalt verpflichtet (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1987 – IV a ZB 17/87, NJW-RR 1988, 508).

aa) Gemessen an diesen Voraussetzungen lag dem angefochtenen Urteil ein Fall der schuldhaften Versäumung i.S. des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO zugrunde. Das Nichterscheinen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Einspruchstermin war jedenfalls fahrlässig, da sie die ihnen obliegende Sorgfalt zur Terminwahrnehmung nicht haben hinreichend walten lassen. Die Hauptbevollmächtigten der Beklagten haben nicht alles Erforderliche getan, um sicherzustellen, dass der Gerichtstermin von dem Unterbevollmächtigten wahrgenommen wird. Soweit im Rahmen von § 514 ZPO auf die zu § 233 ZPO entwickelten Grundsätze abgestellt wird, handelt es sich bei dem Anschreiben an die Unterbevollmächtigten zwar nicht um einen fristgebundenen Schriftsatz an das Gericht. Die Übersendung der Untervollmacht ermöglichte jedoch erst die fristgemäße Wahrnehmung eines anberaumten Gerichtstermins. Von daher kann der Maßstab hier kein anderer sein als bei der Führung des eigenen Terminkalenders, da der Hauptbevollmächtigte jedenfalls diesen Teil des Gerichtsverfahrens vollständig aus der Hand gibt. Übertragen auf den vorliegenden Fall ist ebenfalls eine Ausgangskontrolle zu fordern, die sicherstellt, dass dem Terminvertreter die notwendigen Daten zum Termin, wie Sitzungstag, Terminstunde und Sitzungssaal bekannt sind und ihm die notwendigen Unterlagen, wie Terminvollmacht und ggf. ein Aktenauszug vorliegen. Dies gilt besonders, wenn es sich – wie hier – um einen Einspruchstermin handelte, dem die Gefahr eines instanzbeendenden Zweiten Versäumnisurteil innewohnte.

bb) Der Vortrag der Beklagten lässt bereits nicht erkennen, ob eine interne Anweisung existiert, Schreiben wie dasjenige vom 04.11.2020 (Übersendung Aktenspiegel, Terminsnachricht und Terminsvollmacht) in der Akte mit einem Erledigungsvermerk zu versehen. Dies ist jedoch vorliegend zumindest als Maß der anzuwendenden Sorgfalt bei einer Terminkontrolle zu fordern. Die durchzuführende Terminkontrolle muss im Rahmen einer zusätzlichen Ausgangskontrolle sicherstellen, dass dem Terminvertreter die notwendigen Daten zum Termin, wie Sitzungstag, Terminstunde und Sitzungssaal bekannt sind und ihm die notwendigen Unterlagen, wie Terminvollmacht und ggf. ein Aktenauszug vorliegen. Spätestens bei der Wiedervorlage der Akte zwei Wochen vor dem Termin hätte das Fehlen eines Erledigungsvermerks jedenfalls bemerkt werden müssen. Zudem forderte das nichtabgesandte Schreiben vom 04.11.2020 eine ausdrückliche Übernahmebestätigung des Unterbevollmächtigten nach Erhalt der Unterlagen. Auch diesbezüglich wäre durch eine Kontrolle sicherzustellen gewesen, dass sich diese Übernahmebestätigung in der Akte befindet. Dabei hätte das Fehlen der Bestätigung des Unterbevollmächtigten auffallen müssen und zumindest Anlass dazu geben müssen, erneut bei dem Terminvertreter hinsichtlich des Erhalts der vermeintlich übersendeten Informationen und Unterlagen nachzufragen.

Die E-Mail vom 03.11.2020 ist insoweit ersichtlich als Übernahmebestätigung nicht ausreichend, zumal, was der eigene Vortrag der Beklagten zeigt, über die E-Mail vom 03.11.2020 hinaus, eine Bestätigung der Annahme des Auftrags aufgrund des Schreibens vom 04.11.2020 erwartet wurde.

cc) Schließlich hätte spätestens bei der behaupteten Aktenkontrolle zwei Wochen vor dem Termin zwingend auffallen müssen, dass es auch an einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Terminvertreters, Herrn Rechtsanwalt Sch., fehlte. Zwar bedarf eine Bevollmächtigung nicht notwendigerweise der Übersendung einer schriftlichen Vollmachtsurkunde. Die seitens der Beklagten vorgetragenen Umstände zeigen jedoch, dass eine Bevollmächtigung des Terminvertreters gerade durch Übersenden einer schriftlichen Vollmachtsurkunde im Schreiben vom 04.11.2020 erfolgen sollte. Von einer zeitlich früheren Bevollmächtigung des Rechtsanwalts Sch. ist hingegen nicht – auch nicht in der E-Mail vom 02.11.2022 (Bl. 285 d.A.) – auszugehen. Diese stammte von der Rechtsanwaltsassistentin Fr. B. und lautete: „… In einer neuen Sache steht Termin am 23.02.2021 um 11:00 Uhr vor dem Landgericht Saarbrücken an. Können Sie diesen Termin für uns wahrnehmen?“. Der Senat erachtet diese E-Mail, ungeachtet dessen, dass weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die Verfasserin der E-Mail als Rechtsanwaltsassistentin selbst dazu berechtigt bzw. bevollmächtigt gewesen war eine Untervollmacht zu erteilen, als unverbindliche Anfrage ohne den erforderlichen Rechtbindungsbindungswillen, mithin nicht als Bevollmächtigung des Terminsvertreters. Neben dem Umstand, dass nach dem eigenen Vortrag der Beklagten ohnehin die Bevollmächtigung durch die nicht abgesandte schriftliche Beauftragung erfolgen sollte, zeugte auch die Antwortmail der Sekretärin des Rechtsanwalts Sch., wonach man den Termin gerne wahrnehmen könne und ihn vorgemerkt habe, nicht von endgültiger Verbindlichkeit.

3. Steht damit zur Überzeugung des Senats fest, dass es an einer wirksamen Unterbevollmächtigung des Rechtsanwalts Sch. fehlte, kann es dahinstehen, ob das Landgericht, was die Beklagte in Zweifel zieht, eine Wartefrist von 15 Minuten vor Erlass des Zweiten Versäumnisurteils abgewartet hat. Das Gesetz sieht nicht ausdrücklich vor, dass ein Gericht nach pünktlichem Aufruf der Sache eine bestimmte Zeit zuwarten muss, bis es gegen die zu diesem Zeitpunkt säumige Partei ein Versäumnisurteil erlässt. Lediglich erforderlich ist die dahingehende Antragstellung der anwesenden Partei. Ob Rücksichtnahme und Fürsorge sowie das Gebot eines rechtsstaatlichen Verfahrens ein Zuwarten des Gerichts auf einen Verfahrensbeteiligten von mindestens 15 Minuten erfordern (so BGH NJW 1976, 196; Urteil vom 19. November 1998 – IX ZR 152/98, NJW 1999, 724; OLG Rostock Urteil vom 2. November 1998 – 3 U 31/97, MDR 1999, 626 [627]), braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden, da eine den Erlass eines Versäumnisurteils hindernde unverschuldete Verspätung i.S.v. § 337 ZPO voraussetzt, dass der gegnerische Anwalt auf die Einhaltung dieser Wartepflicht vertraut hat (vgl. BGH, Urteil vom 09. Oktober 1975 – VII ZR 242/73, NJW 1976, 196 zu § 337 ZPO a.F; Urteil vom 19. November 1998 – IX ZR 152/98 NJW 1999, 724). Davon kann hier nicht ausgegangen werden, da es schon an einer Bevollmächtigung des Rechtsanwalts Sch. fehlte und nicht unterstellt werden kann, dass er, wenn er tatsächlich anwesend gewesen wäre, für die Beklagte hätte wirksam auftreten können.

4. Für den Einwand der Beklagten, dass der zuständige Einzelrichter vor Erlass des Zweiten Versäumnisurteils nicht noch einmal ordnungsgemäß zur Sache aufgerufen hätte, gilt das Nämliche. Zwar ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn das Gericht den Begriff der Säumnis im Sinne des § 220 Abs. 2 ZPO unter Verkennung der verfassungsrechtlich durch Art. 103 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen ausgelegt hat, indem es eine Partei als säumig behandelt, die zu einem Termin pünktlich erschienen ist und nur deshalb nicht verhandelt hat, weil die Sache nicht oder nicht ordnungsgemäß aufgerufen worden ist. Die geladene und erschienene Partei muss effektiv in die Lage versetzt werden, zu hören, dass „jetzt“ in die mündliche Verhandlung ihrer Sache eingetreten wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. Oktober 1976 – 2 BvR 558/75 –, BVerfGE 42, 364). So liegt der Fall hier nicht, da für die Beklagte niemand zur Terminsstunde bzw. innerhalb der üblichen Wartefrist von 15 Minuten erschienen ist. Dann kann auch ein ordnungsgemäßer Aufruf zur Terminsstunde bzw. erneuter Aufruf nach Ablauf der Wartezeit in und vor dem Saal die ordnungsgemäß geladene Beklagte effektiv nicht in die Lage versetzen, den Termin auch wahrzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05. Oktober 1976 – 2 BvR 558/75 –, BVerfGE 42, 364 (371); KG Berlin, NJW 1987, 1338). Die Beklagte kann insoweit nicht mit dem Einwand gehört werden, dass sich Herr Rechtsanwalt Sch. zum Zeitpunkt des Ablaufs der Wartefrist für den Folgetermin vor dem Gerichtssaal befunden hätte, denn Herr Rechtsanwalt Sch. war nicht als Terminsvertreter in der streitgegenständlichen Angelegenheit bevollmächtigt.

5. Der Annahme einer schuldhaften Säumnis steht auch letztlich nicht der Einwand der Berufung entgegen, dass es sich bei dem Termin am 23.02.2021 wegen der Ladung des Zeugen G. um einen Beweisaufnahmetermin gehandelt habe. Es ist zwar richtig, dass für den Fall, dass ein Termin zur Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht anberaumt ist, dieser erst mit der Beendigung der Beweisaufnahme zum Verhandlungstermin im Sinne der Säumnisnormen wird (vgl. Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 330 Rn. 11). Von einem Beweisaufnahmetermin in diesem Sinne ist aber vorliegend nicht auszugehen. Vielmehr handelte es sich ausweislich der Ladung vom 07.10.2020 (Bl. 119 d.A.) um einen Termin zur mündlichen Verhandlung, zu der der Zeuge lediglich vorbereitend gem. § 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geladen wurde. Auch für den Einspruchstermin gilt, dass das Gericht zur Vorbereitung des nach § 341a ZPO anzuberaumenden Termins alle Maßnahmen zu treffen hat, die es ermöglichen, den Rechtsstreit ohne weitere Verzögerung in dem anberaumten Termin zu erledigen, was die Ladung von Zeugen beinhaltet (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 – IX ZR 19/99 –, juris m.w.N.; Toussaint in BeckOK ZPO, § 341a Rn. 3.1).

III. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 i.V.m. §§ 3, 9 ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom. 08. Oktober 2021- 5 W 38/21- (Bl. 295 – 300 d.A.)).