BGH: Zur Erstattungsfähigkeit von Reisekosten des nicht am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts.
BGH Beschluss vom 13.9.2005 – Aktenzeichen X ZB 30/04
Vorinstanzen:
OLG München Beschluss vom 25.11.2004 – Aktenzeichen 11 W 2541/04
LG München I Beschluss vom 22.7.2004
Normen:
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
Tenor
Der X. Zivilsenat des BGH hat durch … am 13.9.2005 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des OLG München v. 25.11.2004 aufgehoben, soweit die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG München I v. 22.7.2004 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 183,56 € festgesetzt.
Gründe
I. Die in Bonn ansässige Klägerin, die für ihre Gesellschafter Ansprüche wegen des Nachbaus geschützter Sorten geltend macht, hat den Beklagten durch einen in Hamburg geschäftsansässigen Rechtsanwalt vor dem LG München I auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den Nachbau in Anspruch genommen. Das LG hat antragsgemäß erkannt und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Der Rechtspfleger hat es abgelehnt, die von der Klägerin geltend gemachten Reisekosten ihres Hamburger Prozessbevollmächtigten i.H.v. 214,19 € gegen den Beklagten festzusetzen. Das Beschwerdegericht hat Reisekosten i.H.v. 30,63 € festgesetzt und im Übrigen die sofortige Beschwerde zurückgewiesen (OLG München v. 25.11.2004 – 11 W 2541/04, OLGReport München 2005, 261).
Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihren Kostenfestsetzungsantrag in dem Umfang weiter, in dem ihre sofortige Beschwerde erfolglos geblieben ist.
II. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die von der Klägerin geltend gemachten Terminsreisekosten seien dem Grunde nach erstattungsfähig. Die Zuziehung eines am Geschäftssitz der Klägerin ansässigen Rechtsanwalts sei als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzuerkennen. Bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines solchen Rechtsanwalts seien auch die Reisekosten eines andernorts (hier: in Hamburg) ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig. Das steht mit der ständigen Rechtsprechung des BGH in Einklang (BGH, Beschl. v. 16.9.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898; Beschl. v. 18.12.2003 – I ZB 21/03 – Auswärtiger Rechtsanwalt III, MDR 2004, 839 = BGHReport 2004, 635 = GRUR 2004, 447; Beschl. v. 13.7.2004 – X ZB 40/03, BGHReport 2004, 1664 = MDR 2005, 50 = NJW 2004, 3187; Beschl. v. 14.9.2004 – VI ZB 37/04, BGHReport 2005, 201 = MDR 2005, 177 = BB 2004, 2548; Beschl. v. 2.12.2004 – I ZB 4/04 – Unterbevollmächtigter III, MDR 2005, 417 = BGHReport 2005, 472 = BB 2005, 294 = GRUR 2005, 271) und lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
2. Das Berufungsgericht hat weiterhin die Auffassung vertreten, die Erstattung der Reisekosten sei jedoch der Höhe nach auf diejenigen Mehrkosten beschränkt, die bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten für die Vertretung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entstanden wären (hier: 30,63 €). Unter mehreren gleichartigen Maßnahmen habe die Partei die kostengünstigste auszuwählen; Terminskosten eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten seien daher nur erstattungsfähig, soweit sie die Mehrkosten der Einschaltung eines Terminsvertreters nicht wesentlich überstiegen.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Reisekosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts entstanden sind, sind zu erstatten, wenn sie i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO notwendig waren. Dabei kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich – was das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt richtig gesehen hat – gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen (BGH, Beschl. v. 16.9.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898; Beschl. v. 11.11.2003 – VI ZB 41/03, MDR 2004, 539 = BGHReport 2004, 345; Beschl. v. 9.9.2004 – I ZB 5/04 – Unterbevollmächtigter II, BGHReport 2005, 134 = MDR 2005, 178 = GRUR 2005, 84). Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme ist zudem eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten werden könnte, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht (BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – I ZB 29/02 – Auswärtiger Rechtsanwalt I, BGHReport 2003, 308 = NJW 2003, 901 [902] = WRP 2003, 391).
Hiernach hat das Beschwerdegericht die Beauftragung eines Terminsvertreters zu Unrecht als gleichartige, jedoch kostengünstigere Maßnahme angesehen. Die Anerkennung der Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten in der Rechtsprechung des BGH beruht gerade auf der Erwägung, dass die Terminsreisekosten des nicht am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts, dessen Hinzuziehung als notwendig anzuerkennen ist, ihrerseits grundsätzlich erstattungsfähig wären (BGH, Beschl. v. 16.9.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898; Beschl. v. 14.9.2004 – VI ZB 37/04, BGHReport 2005, 201 = MDR 2005, 177 = BB 2004, 2548; Beschl. v. 2.12.2004 – I ZB 4/04 – Unterbevollmächtigter III, MDR 2005, 417 = BGHReport 2005, 472 = BB 2005, 294 = GRUR 2005, 271). Der BGH hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die Erweiterung der Postulationsfähigkeit vor den LG auf alle bei einem Amts- oder LG zugelassenen Anwälte wesentlich auch damit begründet worden sei, dass das Interesse der Mandanten dahingehe, von einem Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor auswärtigen Zivilgerichten vertreten werden zu können (BGH, Beschl. v. 16.9.2002 – VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898 [901]). Wird die Beauftragung eines nicht am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts als aus der Sicht einer verständigen Partei notwendig anerkannt, ist der Partei regelmäßig das Recht zuzubilligen, sich durch diesen mit der Sache vertrauten Rechtsanwalt auch in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen, zumal die hierdurch entstehenden Kosten im Allgemeinen geringer sein werden als die zusätzliche Beauftragung eines Terminsvertreters.
3. Die Sache ist daher zur Prüfung der entstandenen Reisekosten an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.